Raum ist Transparenz

Ostasisatische Malerei und ihre Räumlichkeit

Wanderung durch die Szechuaner Berge

Wu Shieh-hsien,
Wanderung durch
die Szechuaner Berge

Im Unterschied zur europäischen Malerei der Neuzeit, deren Bildräume durch den eigenen Standpunkt  des Betrachters perspektivisch aufgespannt werden, der in Wahrheit der autonome Standpunkt des Malers ist, kennt die ostasiatische chinesische Malerei den universalen quasi kosmischen Bildraum

Bei Wu Shieh-hsien (19 Jh.-1916) ( „Wanderung durch die Szechuaner Berge“) geht der Weg des Wanderers in Schleifen oder ansteigenden Spiralen durch die Berge, durch die Landschaft, durch den Raum und durch den Kosmos.

Er beginnt schon lange vor dem Betrachter und geht weiter, wenn er nicht mehr sichtbar wird. Er kommt von Irgendwo, Nirgendwo und geht nach Irgendwo, Nirgendwo.

Der Raum schafft sich malerisch durch Wiederholungen, durch Schleifen, durch Fortsetzungen in die Tiefe. Er ist sowohl nach oben wie in die Ferne offen.

Es drückt auch ein bestimmtes Raumgefühl aus. Die Art und Weise wie China lange schon im Universalismus sowohl die Verbundenheit von Welt und Kosmos als auch ihre Offenheit empfunden hat. Das wiederholt sich fast rhythmisch wie die Dächer der Pagoden, die hochsteigen. Wie in der Abbildung links zu sehen, breitet sich in vielen ostasiatischen Bildern oft ein diffuser, heller Nebel aus, zwischen den gemalten Abschnitten, in Senken und Höhlen.

Diese unbestimmte vage Fülle oder Leere wirkt  amorph, wenig geformt, wenig körperlich, aus der Ferne gesehen. Die Fülle und Leere der Welt.

So sehr es auch nicht unbedingt Leere oder Nichts darstellt, sondern vielleicht nur das Unbestimmte, so sehr ist erkennbar, dass die Malerei thematisiert, dass Kosmos eigentlich eine gewisse Leere sei und etwas von dieser Leere in unsere Welt hineinragt, entsprechend der alten orientalischen Vorstellung: „Die Erde war wüste und leer“.

Transzendentale Ideen und kosmische Bilder

Das neuzeitliche, europäische Denken der Philosophie seit Descartes und explizit bei Kant behandelt die transzendentalen Ideen vom „Ich“ und „Welt“ und die Anschauungsformen von Raum und Zeit. In evidenter Weise denkt man darüber nach, ob die Welt „endlich“ oder „unendlich“ sei, ob „teilbar“ oder „unteilbar“, also „atomar“. Das ist ein Denken, dass schon in der Kindheit zwingt, sich die Welt jeweils für sich vorzustellen. Dort wo sie begrenzt erscheint, hat sie Form und Grenze.

In der Unendlichkeit dämmert sie hinüber.

Aber das Faktum, dass diese dämmende Leere, sei sie endlich oder unendlich, so oder so, die leere Weite der Welt bleibt, scheint nur die ostasiatische Weltbetrachtung wahrzunehmen.

Das ist das spezifische kosmische Modell ostasiatischen Denkens und seiner Weltdarstellung.

Regen in einer Hütte

Wu Shih-hsien, Den Regen in einer Hütte mit dem Strohdach Lauschen

Der Maler Wu Shih-hsien zeigt auch in gewisser Weise die spezifischen transzendentalen  Vorstellungen von „endlich“ und „unendlich“. Bei Wu Shih-hsien Tuschmalerei „Den Regen in einer Hütte mit dem Strohdach Lauschen“ ist der begrenzte und geformte Bereich der Hütte wie der Berge eine gesetzte Grenze gegen die Ferne.

Dazu passt auch, dass der Maler hier europäische Reminizenzen holländischer Genremalerei verarbeitet haben soll, ein mehr oder weniger geschlossener Raum der Endlichkeit.

Bei „Rückkehr der Boote in Regen und Nebel“ vom gleichen Maler scheint die Vorstellung „unendlich“ das Bild zu beherrschen. Eine weiche, unbestimmte, neblige Ferne, die schon in der Mitte des Bildes beginnt.

Rückkehr des Bootes

Wu Shih-hsien, Rückkehr der Boote in Regen und Nebel

Aber die Bilder sind sich alle ähnlich. Im chinesischen Denken und Gestalten wird    letzlich alles überlagert von der vagen, weichen Unbestimmtheit und Leere der Welt.

In der „Kritik der reinen Vernunft“ von Kant, den Abschnitten „Die Antinomien der reinen Vernunft“, Erster Widerstreit der transzendentalen Ideen“, nach der Reclamausgabe S.468 ff. wird deutlich. „Begrenztheit“ und „Unbegrenztheit“ der Welt können gegenseitig als Thesis und Antithesis behauptet werden.

Thesis

Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.

Beweis

……..

Antithesis

Die Welt hat keinen Anfang, und keine Grenzen im Raume, sondern ist, sowohl in Ansehung der zeit, als des Raums, unendlich.

Beweis

………..

Jede These kann beweisen, dass das Gegenteil unmöglich ist, also ist alles unmöglich. Doch man muss sich die Welt entweder oder so vorstellen. Man fühlt sich verpflichtet, entweder  das eine oder das andere zu behaupten.

Einerseits denkt man, es geht immer weiter. Andererseits kann es nicht immer weitergehen. Aber da die Leere und das Nichts schon in dieser Welt sind, sollte man sie nicht übergehen. Daran erinnert insbesondere chinesische Tuschmalerei.