Raum ist Transparenz

Auf der Suche nach dem imaginären Raum

Friedrich Göhler Im Nebel erscheinen schwebende Figuren

Friedrich Göhler, „Im Nebel erscheinen schwebende Figuren“, 2010

In der modernen Malerei, wie sie sich seit dem Kubismus Anfang des 20. Jahrhunderts abzeichnet, wird der Raum imaginär und artifiziell, aus Fragmenten und Schichten konstruiert.

Dieser Raum ist zugleich ein konkreter Raum, der direkt Schichten der Materie wie Tapeten oder Zeitungsabschnitte ins Bild nimmt. Keiner hat so konsequent Materie und Raum analysiert wie der bekannte kubistische Maler Georges Braque, er hatte zusammen mit Picasso entscheidend den Kubismus entwickelt. In seinen späten Werken kommt er der weit gespannten ostasiatischen Sicht der Dinge nahe.

Die Geige

George Braque, Die Geige

In der von George Braque  (Öl, Die Geige, 1912-13) wird das neue Verfahren recht deutlich. Einige Linien geben Informationen über die Umrisse der Formen. Die Flächen des Musikkörpers verteilen sich auf die Leinwandfläche. Einige Linien laufen diagonal in die Bildtiefe. So liegt ein transparentes Spiel figuraler Formen und figuraler Zeichen, Informationen über einen diffusen, halb durchsichtigen, materiellen Raum.

In meinem Aquarell oben (Friedrich Göhler, „Im Nebel erscheinen schwebende Figuren“, 2010) spielen Figuren , die transparent sind, in einem diffusen, nebligen Raum. So suche ich mit durchsichtigen Linien, Figuren, Formen durch Überlagerung und Transparenz den Bildraum als Gesamtraum zu konstruieren.

Je flächiger im Kubismus die Formen sind, umso besser. Ein beliebtes Requisit sind Spielkarten und aufgebaut und seriell wie Spielkarten sind auch die kubistischen Bilder.

Spielkarten können aber selbst wieder kubistisch aufgebaut sein. Ich habe einen Spielkartensatz von Sonya Delaunay, der Frau von Delaunay, dem bekannten Maler.

Farbige Spielkarte

Sonya Delaunay, Farbige Spielkarte

Die Spielkarte wirkt halb abstrakt. Die farbigen Linien sind „sphärisch“ angeordnet wie bei dem Maler Delaunay.

So erschließen die modernen Künstler mit Listen und Täuschungen des Gesamtraum.

Es entstehen so bemerkenswerte Gesamtansichten wie bei Braque, wenn er elegant nahtlos Seitenansicht und Vorderansicht des Modells zusammenfügt. (G. Braque, „Der Maler uns sein Modell“, Detail, 1939, Öl) Moderne Bilderfindungen, die auch den Schatten der Dinge verwenden.

Der Maler und sein Modell

G. Braque, Der Maler uns sein Modell

Eine exotische Bilderfindung, wenn auch nicht modern, ist der tanzende Shiva, der viele Hände hat.

Shiva Nataraja

Abbildung einer tanzenden Shiva-Statue

Zwar symbolisieren die Hände verschiedene Aspekte des Gottes, aber die verschiedenen Zeitpositionen der Tanzbewegung könnten damit auch dargestellt sein. Sein eigentlicher Mythos ist sein Weg durch die Zeit. Er könnte eher der Gott Nietzsches sein. Und zu Nietzsche führt uns  auch folgendes Bild von de Maria.

Nicola de Maria, „Nietzsche“, 1981, Wasserfarben

Das  Bild wird von unten nach oben gelesen als eine breite Fläche sich erstreckendes Landes, das zu einer weiten Wasserfläche führt. Dahinter erhebt sich ein neues Land, ein jenseitiges, wie eine Steigerung des vorherigen. So ließe sich teilweise tatsächlich die Philosophie Nietzsches verstehen. Aber ästhetisch  ist das Bild doppeldeutig, wie vielleicht auch die Philosophie Nietzsches, dank einer modernen Bilderfindung, die sowohl die perspektivische Raumtiefe als auch den flächigen Block des Bild es gleichzeitig darzustellen vermag. Das Ferne wird hier zur Höhe, aber irgendwie ist hier die Höhe (Zarathustras) stärker betont als das weite Land davor.

Transparenz des Raumes kann auch durch Spiegelungen erfolgen, und trotzdem nicht durchgängig sein, aber durchsichtig wie ein Labyrinth. Ein schönes Beispiel ist die folgende Graphik von dem Dramatiker Friedrich Dürrenmatt.

Minotaurus

Friedrich Dürrenmatt, Minotaurus

Ein Minotaurus und viele Kopien in einem transparenten, aber wenig zugänglichen Labyrinth. Das Labyrinth kann hermetisch sein, also undurchdringlich, oder offen.

Das nachstehende Titelbild eines Heftes französischer Fotografien der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts, lässt die Frage offen.

 

Titelblatt Fotografiemagazin, „France“, Graphik von Dubois, fünfziger Jahre

 

Rückseite des vorhin genannten Heftes

Rückseite, „France“, Graphik von Dubois, fünfziger Jahre

Der Durchgang durch das Labyrinth könnte gerade da erfolgen, wo sich die rote Rose befindet. Der Blick auf die Rückseite des Heftes zeigt es uns. Kein Durchgang. Es handelt sich um ein hermetisches Labyrinth.

Die moderne Malerei konstruiert zwar nicht so raum-zeitlich wie die moderne Physik. Aber etwas von dieser Imagination findet sich auch dort. Die späten Arbeiten von Braque, insbesondere seine Gemäldeserie „Atelier“, sind Eroberungen eines dunklen Raums, in dem die Dinge und Figuren sich selbst erhellen und zeigen. „Das Dunkel ist Licht genug.“ wie bei den Sternen wie in der Tiefsee. In ähnliche Richtung geht mein Aquarell „tele-terra in sternhagelblau“

Teleterra in sternhagelblau

Friedrich Göhler, Tele-terra in sternhagelblau, 2010

In der Nachkriegszeit malte Braque eine dunkle Malerei, eine „peinture-noire“, wie es damals das „cinema noire“gab, den schwarzen, den pessimistischen Film, passend zu den Existenzialisten, während Picasso in Südfrankreich den „lichten“ Tag feierte.

Das Dunkel ist Licht genug. Das könnte auch ein Motto der Kinotheater sein. Ein künstliches Licht in der Nacht.

Die Nacht

George Braque, Die Nacht

Ein Werk jener Zeit ist das Bild „Die Nacht“ (Abbildung 13, G. Braque, „Die Nacht“, 1051, Öl). Die geheimnisvolle, gespenstische Nacht schimmert in einem bleichen, phosphoreszierenden Licht. Künstlich leuchtet sie von selbst. Die Kubisten kennen die Tricks der Nacht, sie haben sie zur Erscheinung gebracht.

Schließlich in der letzten Abbildung schauen wir in das Dämmerlicht der Ateliers, ob Film-oder Malatelier.

Atelier VI

George Braque, Atelier VI, 1950-51, Öl

Abstand und Raumtiefe bestimmen zwar auch die Objekte, doch ur ungefähr, und die kubistische geschichtete Flächigkeit verbindet sich mit der dunklen Leinwand, als ob die Leinwand die Tiefe des Raums wäre. Für das Bild wird auch der Raum bei Braque zu einem Innenraum. Transparenz und Intransparenz halten sich die Waage.