I Ging. Ein Projekt
Europäische Künstler haben sich immer wieder mit fernöstlichen Kunstformen und Motiven beschäftigt. Dabei mögen die Unterschiede innerhalb dieser Kunst zwar beträchtlich sein, im Westen hat man sich aber eher mit gewissen strukturellen Elementen dieses Kunstkanons auseinandergesetzt.
Die Chinoiserien gaben Anlaß zu einem leichtem, lockeren Ornamentalstil, dem schwingenden, verschnörkelten, ab und zu verspieltem, „Rokoko“ Stil.
Die Duftigkeit und Leichtigkeit der Darstellung, insbesondere auch in den figürlichen Motiven, wie sie ein Jahrhundert später in den Japanoserien sichtbar wurde, die Poesie, die helle, graziöse Zartheit bildeten Anregungen für den Impressionismus und folgende Stile.
Die fernöstlichen Kunststile bilden aber auch viele Beispiele für Monumentalität, Symetrie mit symbolischer, heraldischer Wirkung und das, was fernöstliche Kulturkenner eine spezifische Emblematik nennen, Bilder und Zeichen zugleich, die verkürzt und angedeutet einen Bedeutungs- und Assoziationsspielraum haben, sind weit umfassender.
Der fernöstliche Zeichencharakter ist etwas anderes. Manchmal gewinnen die Zeichen bloßen formalen Gebrauchswert, etwa in Richtung auf die Schriftzeichen, dann haben sie ausgeprägt symbolische, allgemeine Bedeutung oder sie sublimieren sich fast zu geistigen, nahezu abstrakten Zeichen.
Diese fließenden Übergänge entsprechen einem fließenden Denken, das den Wandel betont, und einen fließenden Bedeutungsspielraum beinhaltet.
Italo Calvino hat das „Tarotkartenspiel“ als eine Maschine zur Herstellung von Geschichten begriffen. Als eine eigentümliche europäische Kulturmischung haben auch orientalische und jüdische Elemente Anteil an diesem Kulturphänomen. Sie sind Spuren einer komplexen europäischen Geschichte. Man könnte auch die „Heilige Schrift“ und die antike Mythologie als Maschinen zur Herstellung von Geschichten und deren bilderhaften Mythen verstehen.
Das „I Ging – Das Buch der Wandlungen“ begriff ich zunehmend als eine Maschine zur Herstellung von Bildern und Zeichen. Sie sind anders strukturiert als abendländische Bilder und Zeichen, erlauben aber auf dem Hintergrund einer geistigen Erfahrung sozusagen eine auch gegen den chinesischen Strich oder seine Konvention gewendete persönliche innere Ausdrucksweise.
Trotzdem treibt einem das Ausdrucksbemühen um die ablaufenden Zustände und Prozesse im „I Ging“ sehr stark auf die chinesische Motivik zu.
Modern gesehen spricht das „I Ging“ philosophisch und sprituell etwas aus, was die Moderne ästethisch eine Serie nennt und zwar im doppelten Sinne als Wiederholung und Variation und als fortschreitender Prozess.
Das „I Ging“ stellt Zustände, Wandlungen dar, die erst in Verbindung mit der Entwicklung und Verwandlung in andere Situationen ihren Sinn und ihre Bedeutung gewinnen. Daher kommt auch ihre funktion als Orakelbuch, das man wohl nicht wörtlich nehmen kann. Immerhin aber haben gewisse Situationen die Tendenz sich in bestimmte andere Situationen umzuwandeln.
Ähnlich wie die chinesische Schrift selbst ihren Radikalen, den Elementarzeichen, und den komplexen formalen Kombinationen zu Begriffszeichen, bei denen immer wieder formale Elemente hinzutreten, stellen die Zustände und Situationsmodelle Elementarelemente und Modelle dar, die wie der „Himmel“, die „Erde“, das „Abgründige, das Wasser“ oder „das Haftende, das Feuer“, meistens Anteil haben an den komplexen Situationen, die das „I Ging“ im allgemeinen bestimmen.
Diese spezifischen Zustände erscheinen, oberflächlich gesehen, ziemlich eigenartig und wahllos zu sein. Man erkennt aber schnell, dass es gerade diese Variantenbreite und Selbstständigkeit von Zuständen wie der „Streit“, das „Erscheinen“, die „Begeisterung“ oder der „Großen Zähmungskraft“ ausmacht, dass sie in poetischer, einfühlender, ahnender Verkürzung, Zugang zum allgemeinen, lebendigen Prozess ermöglichen.
Wenn man ästethisch versucht, in die geistige Situation und den laufenden Prozess im „I Ging“ einzudringen, gerät man in eine eigentümliche Spannung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, zwischen der einmaligen, individuellen Darstellung und dem seriellen Wandel, zwischen Linearität und Mehrdimensionalität, zwischen notwendigen fernöstlichen Formelementen und originären Ausdruck. Die moderne künstlerische Freiheit hebt sich bis zu einem gewissen Grade auf, was durch die Verwendung chinesischer Schriftzeichen Ausdruck findet, aber es besteht dann zunehmend eine solche eigentümliche Spannung, die man fast magisch nennen kann, dass man eigentümlich in einer Welt lebt, die man nicht beschreiben sondern nur auszudrücken vermag, so dass man diesen Prozess früher oder später abbricht. Es bleibt ein Fragement. In dieser Femdheit von innen, die auch eine Vertrautheit von innen ist, dringt eine Fremdheit von außen, die auch eine Vertrautheit von außen ist.
Die Serie als fragmentarischer Versuch wird durch die Malweise des Aquarells, das der fernöstlicehn Tradition nahesteht, als kleine Form und verdichtetes Zeichen fortgesetzt. Das „I Ging“ als Projekt folgt dem Ziel fernöstliche Anregungen aufzunehmen, um eine haftende Substanzialität in figürlicher Thematik zu überwinden, ohne rein zu einer subjektiven darstellung oder spezifischen Mythologie zu gelangen. Die Mythologie mag spezifisch sein, aber die universale Komplexität überschreitet sie.
Die Naturelemente stehen nicht nur in einer Beziehung, sondern auch in einer gewissen Ordnung zu einander. Das ist aber nicht selbstverständlich, sondern die Folge einer Kultur, die sich auf sie einlässt. Elementar ist eigentlich gar nichts, allenfalls die modernste Technologie. So ergibt sich der Sinn im Sinnvollen.
Die Bilder sind rein intuitiv entstanden, ohne fotografische Vorlage oder eine bestimmt sichtbare Anregung.